Melanie Kamboj, 43, Altenpflegerin, Hamburg
Melanie Kamboj macht einen Job, den viele nicht mehr machen wollen. Als Altenpflegerin hat sie sich über Jahre seelisch aufgerieben, immer durchgehalten, trotz permanenter Überlastung. Bis Depressionen und Panikattacken sie dazu zwangen, innezuhalten. Ein Achtsamkeits-Kurs hat ihr dabei geholfen, ihre Probleme in den Griff zu bekommen und ihr die Freude am Beruf zurückgebracht.
Ich war immer schon jemand, der sehr hohe moralische Ansprüche an sich selbst hat. Für andere da zu sein, mich zu kümmern, das ist eigentlich etwas, das mich glücklich macht. Am Anfang war mein Beruf auch wirklich noch sehr erfüllend. Da hatten wir noch Zeit für die alten Menschen, konnten auf ihre Bedürfnisse eingehen, sie ein bisschen betüddeln. Aber mit den Jahren wurde es immer stressiger. Irgendwann war es ganz normal, dass ich in der Nachtschicht alleine für 68 Bewohner zuständig war. Und das manchmal fünf Nächte hintereinander. Das hat mich unheimlich belastet. Nicht nur der Stress, sondern auch die Gewissenskonflikte, weil man den Menschen ja einfach überhaupt nicht mehr gerecht werden kann, so ganz auf sich alleine gestellt.
Es gab Phasen, da saß ich vor jedem Nachtdienst zu Hause und habe gezittert, weil ich nur noch Angst hatte. Angst irgendetwas falsch zu machen, Angst vor Erschöpfung zusammenzubrechen und dort zu liegen, auf dem Boden, ohne dass jemand da ist, der mir helfen kann. Irgendwann kam dann die Depression, später richtige Panikattacken, mit Todesangst und allem was dazugehört. Ich war damals schon seit einiger Zeit in Therapie, als mein Therapeut mir empfahl, einen Kurs bei einer ausgebildeten Achtsamkeitstrainerin zu besuchen.
Achtsamkeit hilft, Stress und Ängste abzubauen
Ich konnte damals nicht viel mit dem Begriff Achtsamkeit anfangen – für mich klang das irgendwie mehr nach Lifestyle als nach etwas, das mir wirklich helfen könnte. Im Kurs lernte ich dann, dass Achtsamkeit eine wissenschaftlich sehr gut untersuchte Methode ist, um Stress und Ängste mit einfachen Strategien abzubauen.
"Wenn das Herzrasen wiederkam und die damit verbundene Todesangst, habe ich mich nicht mehr innerlich dagegen gewehrt, sondern mich gedanklich ganz bewusst auf mein Herz konzentriert."
Melanie Kamboj
Und das hat tatsächlich funktioniert. Es geht bei der Achtsamkeit eigentlich immer nur um diese drei Elemente: Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen. Die sind da, die kommen, die gehen aber auch wieder. Im Kurs habe ich gelernt, das einfach zu beobachten, nicht zu bewerten und vor allem: nicht dagegen anzukämpfen. So habe ich es dann bei meinen Panikattacken gemacht. Wenn das Herzrasen wiederkam und die damit verbundene Todesangst, habe ich mich nicht mehr innerlich dagegen gewehrt, sondern mich gedanklich ganz bewusst auf mein Herz konzentriert, habe es einfach nur wahrgenommen. Und dabei festgestellt – es passiert ja gar nichts Schlimmes. Ich sterbe nicht, ich falle nicht in Ohnmacht, ich bekomme auch keinen Herzinfarkt.
Gedanken und Gefühle einfach mal „so sein lassen“
Damit das klappt, muss man natürlich viel üben. Das hieß für mich, jeden Tag 30 Minuten „Stille Meditation“, also einfach dasitzen und wahrnehmen, „Was fühle ich gerade?“ „Welche Gedanken kommen hoch?“, „Wie ist meine Atmung“. Der Schlüssel ist, dass man immer wieder übt, all diese Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen nicht in irgendeine positive oder negative Schublade zu packen, sondern einfach „so sein zu lassen“. Das klingt komisch, funktioniert aber mit jedem Mal besser und ist unheimlich befreiend.
Sehr geholfen hat mir auch der sogenannte Bodyscan. Dabei geht man gedanklich nacheinander den ganzen Körper durch und spürt in die einzelnen Körperteile hinein, „Wie fühlt sich meine Stirn an? Ist die gerunzelt, entspannt? Wie fühlt sich der Rücken an? Spüre ich da den Druck der Unterlage?“. Sobald ich es schaffe, die Aufmerksamkeit voll auf den Körper zu richten, kann ich schon nicht mehr grübeln oder mir überlegen, was ich eigentlich alles noch erledigen muss. Früher habe ich das ständig gemacht, denn in meinem Job hat man einfach permanenten Zeitdruck und kann sich nie so ganz auf das einlassen, was man eigentlich gerade macht.
Auf den Atem konzentrieren, macht gelassener
Heute arbeite ich nicht mehr in einem stationären Heim, sondern in einer Tagespflege-Einrichtung – Nachtdienste muss ich also zum Glück keine mehr machen. Trotzdem gibt es natürlich immer wieder Situationen, die stressig sind, aber heute habe ich für solche Momente meine Strategien. Wenn es irgendwie möglich ist, ziehe ich mich kurz aus der Situation heraus und konzentriere mich auf meinen Atem und auf nichts anderes. Danach bin ich wieder viel fokussierter und gelassener.
Manchmal habe ich heute immer noch das Gefühl, meinen Ansprüchen nicht gerecht werden zu können, aber durch Achtsamkeit habe ich gelernt, nachsichtiger mit mir selbst zu sein. „Was würdest du in dieser Situation zu einer guten Freundin sagen?“, denke ich mir dann und das relativiert oft schon vieles.
"Heute gibt es wieder Momente, in denen ich einen der Senioren in den Arm nehme, wenn es ihm nicht gut geht. Das tut auch mir unheimlich gut."
Melanie Kamboj
Das Mitgefühl wird geweckt
Das Schöne an der Achtsamkeit für mich ist auch, dass ich das, was ich im Umgang mit mir selbst gelernt habe, auch auf andere übertragen kann. Wer mit sich selbst nachsichtig sein kann, der kann auch anderen mehr Mitgefühl entgegenbringen. Dieses Mitgefühl ist etwas, was ich in meinem Beruf schon fast verloren hatte. Irgendwann war ich einfach abgestumpft, weil ich jeden Tag so viel Leid gesehen habe und ganz oft einfach nicht helfen konnte. Durch die Achtsamkeit hat sich das geändert. Heute gibt es wieder Momente, in denen ich einen der Senioren einfach mal in den Arm nehme, wenn es ihm nicht gut geht. Und das tut auch mir unheimlich gut. Wahrscheinlich musste ich erst lernen, dass es das Wichtigste ist, mich gut um mich selbst kümmern, wenn ich für andere da sein will.
Ängste annehmen und loslassen
Diese geführte Meditation mit Achtsamkeitstrainerin Angela Homfeldt kann helfen