Macht Konsum wirklich glücklicher? Warum verhalten wir uns beim Shoppen anders, als wir eigentlich wollen? Denn wir machen uns einerseits Sorgen um Klima und Umwelt, decken uns gleichzeitig aber mit Fast Fashion ein und bestellen online in Asien. Achtsamkeits-Expertin Dr. Laura Stanszus erklärt, welche Motive und Mechanismen hinter unserem Konsum stecken und wie sie sich bewusst aufbrechen lassen.
Die Expertin zum Thema
Dr. Laura Stanszus
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin und selbständige Bildungsreferentin für Achtsamkeit und Nachhaltigkeit
Foto: André Wagenzik
Blick in die innere Blackbox: Was treibt uns zum Konsum?
Konsum ist selten eine Folge rein rationaler Überlegungen und Entscheidungen. Wir alle würden wahrscheinlich mit viel weniger Kleidung, Sneakern, Schallplatten, Büchern, Smartwatches und Luxusgütern auskommen – wenn wir durch Selbstreflexion verstehen würden, warum wir etwas tun. Sind wir unglücklich, konsumieren wir. Sind wir glücklich, konsumieren wir. Warum? „Jeder von uns hat eine innere Blackbox, die es durch Selbstreflexion zu erforschen lohnt: Welche Bedürfnisse, Gefühle oder Ängste habe ich? Wessen bin ich mir bewusst und was gestehe ich mir selbst nicht ein. Wir sollten diesen Dingen auf den Grund gehen, nicht nur im Zusammenhang mit unserem Konsum“, sagt Dr. Laura Stanszus. „Diese Auseinandersetzung mit uns selbst kann sehr unangenehm sein, wird aber zu mehr Handlungswirksamkeit führen und uns in Einklang bringen mit dem, was wir uns eigentlich wünschen – und was wir versuchen, durch Konsum zu stillen.“
Scheinbar rationaler Kauf: Was steckt wirklich dahinter?
Ein konkretes Beispiel: Jemand wünscht sich eine teure High-Tech-Küchenmaschine, die im Handumdrehen gesunde Gerichte kocht. Gerichte, die wir mit zur Arbeit nehmen können und die uns davon abhalten, zu viel und zu teures (Fast) Food zu essen. Auf den ersten Blick eine rationale Handlung, basierend auf einer rationalen Überlegung. Aber eigentlich, so Laura Stanszus, steckt dahinter womöglich ein anderes Bedürfnis. „Vielleicht möchte ich mithilfe dieses Kaufs vielmehr Gewicht verlieren, weil ich mich durch meine Art der Ernährung nicht wohl in meinem Körper fühle. Vielleicht denke ich, dass ich dann von meiner Partnerin oder meinem Partner mehr Zuneigung bekomme, und dadurch viel glücklicher werde. In diesem Fall bringt die Küchenmaschine natürlich rein gar nichts, weil das eigentliche Problem woanders liegt.“ Aber: „Diese Auseinandersetzung mit sich selbst ist für viele Menschen schwieriger und unangenehmer, als einfach zu kaufen.“
Der Balanceakt zwischen reflektiertem Handeln, Overthinking und Selbstmitgefühl
Gleichzeitig wäre es eine emotionale und zeitliche Überforderung, vor jedem Kaufimpuls oder geplantem Kauf einen solchen inneren Dialog zu führen und den Motiven auf den Grund zu gehen. Solch ein Overthinking ist ein potenzieller Stressauslöser, was wiederum nicht gesund ist. „Je geübter wir in reflektierten Konsumentscheidungen sind, desto leichter und entspannter wird es“, so die Expertin. Eine weitere hilfreiche Methode sei, Selbstmitgefühl zu entwickeln. Eine Studie habe gezeigt, dass überzeugte Vegetarier, die – obwohl sie es mochten – zugunsten der Umwelt mehrere Jahre auf Fleisch verzichtet hatten, durch Selbstreflexion erkannt haben, wie sehr sie sich damit selbstkasteit haben. „Auch wenn das aus ernährungsphysiologischer und nachhaltiger Perspektive das Gegenteil war von dem, was wir uns mit der Studie erhofft hatten, zeigt es: Dieses Selbstmitgefühl erlaubt uns, beim Konsum Ausnahmen von allzu viel Selbstkontrolle zu machen. Und auch das ist Achtsamkeit und vor allem nachhaltig“, so Laura Stanszus. Deshalb empfiehlt sie, sich nicht zu sehr zu geißeln, wenn es doch einmal zu einem Impulskauf kommt.
Das Zulassen von Genuss ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt aus der Achtsamkeitspraxis. Denn solche Genussmomente sind immer seltener, auch wegen des gestiegenen Social-Media-Konsums. „Unsere Körperwahrnehmung ist heruntergedimmt, wenn wir am Smartphone sind. Deshalb brauchen wir mehr starke Stimulierungen durch Konsum oder zum Beispiel intensives Essen, um uns selbst zu spüren. Durch weniger Zeit am Handy oder am Laptop nimmt auch unsere Genussfähigkeit wieder zu.“
Achtsamkeit kann die Einstellungs-Verhaltens-Lücke schließen
Achtsamkeit kann auch dabei helfen, die sogenannte Einstellungs-Verhaltens-Lücke zu schließen, die entsteht, wenn Menschen rational denken, aber irrational handeln. Etwa wenn Menschen mit einer umweltorientierten Haltung gleichzeitig in den Urlaub fliegen, statt Bahn zu fahren, oder bei einem Billigshop in Asien bestellen. Solch ein widersprüchliches Verhalten ist ein Zeichen für unerfüllte Bedürfnisse: „Das zeigt: Ich wäre gerne diese Art von Mensch, der sich für die Umwelt engagiert, seinen CO2-Fußabdruck minimiert und kein Fleisch isst. Gleichzeitig habe ich aber das Bedürfnis nach Sonne, Luxus und Erholung. Oder nach einem Mega-Schnäppchen. In der Konsumforschung wurde lange Zeit nur die kognitive Ebene betrachtet und das Emotionale und Körperliche außenvorgelassen. Dabei müssen wir das als System sehen. Jeder hat dabei die individuelle Verantwortung für sich selbst, in sich hineinzuhorchen und zu fühlen: Was passiert da gerade in mir? Welches Bedürfnis leitet mich?“, so Stanszus. Wichtig in diesem Zusammenhang sei auch, dass sich das Umfeld nicht gegenseitig verurteilt, wenn man sich in schwachen Momenten erlebt und jemand gerade im Impuls gegen seine eigentliche Überzeugung handelt.
Das Grunderlernen von Achtsamkeitspraxis ist also eine große Hilfe, nicht nur für achtsamen Konsum, sondern auch für den Alltag. Das gilt für aktives Zuhören in Gesprächen, aber auch für die Gestaltung von Beziehungen zu Familienmitgliedern, Freunden oder Kollegen. „Wer Achtsamkeit lebt, und zwar nicht nur punktuell durch Atemübungen, hat die Chance, seinen Alltag zu verändern. Die Chance, sich zu verändern, ist am größten, wenn ich – überspitzt gesagt – durchgängig tief atme, statt jeden Tag eine achtsame Mittagspause zu machen“, so die Expertin. „Für mich bedeutet achtsamer Konsum, dass ich mich als ganzheitliches Wesen begreife und meine Bedürfnisse auf verschiedenen Ebenen kenne, bewerte und bediene – oder eben auch nicht. In jedem Fall weiß ich aber genau, warum ich etwas tue. Und das ist eine sehr gute Voraussetzung für bewussten Konsum.“
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