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Winterblues: Mann schaut nachdenklich in die Ferne

Hilft Achtsamkeit gegen Winterdepression?

ArtikelLesezeit: 3:00 min.

Eine Winterdepression tritt typischerweise auf, wenn die Tage kürzer werden, wir im Dunkeln aus der Tür gehen und im Dunkeln zurückkehren und das Leben mehr drinnen als draußen stattfindet. Das schlägt einigen Menschen aufs Gemüt.

Achtsamkeit kann, im Zusammenspiel mit anderen Methoden und Tricks, ein anhaltendes Stimmungstief verhindern – oder zumindest lindern. Psychologe Prof. Dr. Michael Gräf von der FOM Hochschule Mannheim erklärt, warum.

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Der Experte zum Thema

Prof. Dr. Michael Gräf

Professor an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Mannheim

Winterdepression: Was ist das eigentlich?

Der Herbst ist da – und will gefeiert werden: mit romantischen Serien auf Netflix, mit Kürbisdeko, Kohlrezepten und Bildern von idyllischen Waldspaziergängen durch goldenes Laub. Aber viele Menschen können diese Freude über den Herbstanfang nicht nachvollziehen, ganz im Gegenteil: Sie fürchten sich vor den „kurzen“ Tagen, an denen es spät hell wird und früh wieder dunkel – die Jahreszeit schlägt ihnen aufs Gemüt. Aber ist das gleich eine Depression?

„Das, was wir als Winterdepression bezeichnen, kann sich in leichten Stimmungsschwankungen äußern, es kann aber auch eine Seasonal Affective Disorder (SAD) sein, also eine saisonale bedingte Störung“, sagt Prof. Dr. Michael Gräf. Im Winter gibt es weniger Sonnenstunden, deshalb wird im Gehirn mehr Melatonin ausgeschüttet. Das Schlafhormon macht uns müde. Gleichzeitig sinkt die Serotonin-Produktion und damit die positiven Effekte des sogenannten Glückshormons. Typische Risikofaktoren für eine SAD sind soziale Isolation und fehlender Halt, neben persönlichen traumatischen Erlebnissen oder negativen Erfahrungen in Bezug auf den Winter. Menschen, die Halt haben in Beruf, durch Partner, Hobby oder Haustier, sind emotional stabiler und damit besser gewappnet gegen den Winterblues.

„Anfälliger für eine Winterdepression sind auch Personen, die sich in einem tiefgreifenden Lebensphasenwechsel befinden. Das können zum Beispiel Menschen beim Übergang ins Rentenalter sein oder auch junge Menschen, die gerade mit Studium, Schule oder Ausbildung fertig sind. Fällt deren Umbruchphase ausgerechnet in eine Jahreszeit, in der das Leben eher „langsamer“ und in kleineren Kreisen drinnen stattfindet, zieht es einige besonders tief runter“, so Prof. Dr. Gräf. 

Typisches Anzeichen von Winterblues: verändertes Alltagsverhalten

Menschen mit einer Neigung zu SAD in Form des Winterblues verspüren als erste Anzeichen vor allem Schlafprobleme, Appetitverlust, eine allgemeine Niedergeschlagenheit und Konzentrationsschwierigkeiten. Typisch für SAD ist tatsächlich die saisonale Gebundenheit: Mit Frühlingsbeginn und steigendem Vitamin-D-Spiegel durch mehr Sonnenlicht reduzieren sich die typischen Symptome – dies ist vergleichbar mit einem berufsbedingten Burnout, bei dem sich die Symptome häufig bessern, wenn sich die Arbeitsbedingungen zum Guten verändern.

Aber nicht alle Betroffenen erkennen, dass sie mitten im Winterblues stecken. Deshalb ist es auch sehr wertvoll, wenn nahestehende Personen ihre Beobachtungen empathisch ansprechen, im Sinne von: „Ich habe beobachtet, dass du dich gerade veränderst, dass du dich zurückziehst und keine Freude mehr an deinen Hobbys hast.“ Ein nächster Schritt wäre, Hilfe anzubieten oder den Impuls zu geben, sich professionelle Hilfe zu suchen.

Winter bedeutet: Zeit, in sich zu gehen

Doch nicht jeder kleine Rückzug, nicht jede Nachdenklichkeit im Herbst und Winter ist gleich ein Indiz für eine saisonal bedingte Depression. Prof. Dr. Gräf: „Diese Jahreszeit fördert grundsätzlich die Rumination – also das In-sich-gehen oder Grübeln –, auch weil wir gefühlt mehr mit uns allein sind. Das muss allerdings nicht gleich etwas Schlechtes sein. Wir alle neigen dazu, das alte Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen, bevor das neue beginnt, und gleichzeitig nach vorne zu schauen: Was kommt als nächstes, was kann ich mir jetzt schon vornehmen?“

Und doch ist zu tiefes Grübeln in einer Art Endlosschleife nicht gut für die Stimmung. Wer weiß, dass sie oder er zur Winterdepression neigt, kann sich eine individuelle Präventionsstrategie vornehmen. „Dafür gibt es kein Standardprogramm, denn nicht jeder ist ein extrovertierter Mensch, dem ein gezielter Wochenplan mit mindestens drei sozialen Verabredungen in der Woche hilft. Wichtig ist, für sich selbst festzustellen, was einem wirklich guttut – das kann ein Hobby sein oder auch mal der Seriennachmittag auf dem Sofa. Wichtig ist, etwas zu haben, für das man sich begeistern kann“, so Prof. Dr. Gräf. „Dazu gehört auch, sich selbst regelmäßig zu fragen: Wie geht es mir? Bin ich zufrieden? Was möchte ich ändern?“

Achtsamkeit führt heraus aus der Endlos-Gedankenschleife

Prof. Dr. Gräf hat im Rahmen seiner Lehrtätigkeit gemeinsam mit seiner Co-Autorin Walentina Lefrank an der FOM eine quantitative Studie veröffentlicht, die den Einfluss von Achtsamkeit auf Stress, Burnout und Depression untersucht. Dafür hat er verschiedene Achtsamkeitslehren herangezogen und dabei festgestellt, dass „der Kernpunkt in der Fähigkeit liegt, das Innenleben und das Außenleben wertfrei zu beobachten, also im Hier und Jetzt zu sein. Dazu gehört auch, Erlebtes zu akzeptieren und nicht allzu lange darüber nachzudenken, ob man nicht Dinge hätte anders machen können. Denn dann sind wir schnell an dem Punkt, der Frust und negative Emotionen auslöst“, so Prof. Dr. Gräf. „Diese achtsame Grundhaltung kann eine innere Stabilität und Zufriedenheit erwirken, die dann auch resilient macht gegen nicht beeinflussbare und für manche Menschen widrige Bedingungen wie den Jahreszeitenwechsel.“

Wer Achtsamkeit praktiziere, habe generell einen Werkzeugkasten mit gesunden Strategien zur Hand, um besser mit Stress umzugehen. Und wer diese Bewältigungsstrategien verinnerlicht habe, könne wiederum auch achtsamer sein – das ist wie ein Wechselspiel. 

Und was bedeutet das im Alltag, was genau hilft jenen, die zur Winterdepression neigen? „Das sollte jeder selbst für sich herausfinden, sei es Meditation, Yoga, Sport oder Atemtechniken. Eine sehr gute Methode ist auch ein Dankbarkeitstagebuch. Es reichen täglich fünf Minuten, um den Tag vor dem inneren Auge Revue passieren zu lassen und die schönen Momente aufzuschreiben“, sagt Prof. Dr. Gräf. Allein, sich diese Zeit zu nehmen, führe mit einfachen Mitteln zu Achtsamkeit. „Und die Forschung legt tatsächlich nahe, dass Menschen, die Achtsamkeit praktizieren, weniger anfällig sind für depressive Störungen. Achtsamkeit ist ein Resilienzfaktor, der uns psychisch widerstandsfähiger macht und uns dabei hilft, Erlebnisse in der Gegenwart nicht zwangsläufig als Stress zu empfinden.“

Auch eine gesunde Emotionsregulation hilft bei Winterblues

Eine weitere wirksame Methode sei die Emotionsregulation, also alle Emotionen nicht zu unterdrücken, sondern sie zunächst einmal zu akzeptieren, um sie dann neu zu bewerten. Das eröffne die Chance, daraus etwas Positives mitzunehmen und Hindernisse eher als Chance zu sehen. Prof. Dr. Gräf: „Hierzu gibt es ein schönes Bild: Wir beobachten die Situation wie Wolken am Himmel, wir betrachten sie genau – und lassen sie dann vorüberziehen.“

Was die Winterdepression betrifft, hat Prof. Dr. Gräf noch einen abschließenden Rat: „Eine Tageslichtlampe, mittags einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen, nicht zu viel Ungesundes in der Weihnachtszeit zu essen und ein geregelter Tagesrhythmus sind sicherlich auch alles hilfreiche Tipps. Aber, was mir am wichtigsten ist, ist die Perspektive auf uns selbst: Wir sollten uns mit Selbstfürsorge begegnen, uns nicht unter Druck setzen, sondern mit uns selbst nachgiebig sein – und uns auch mal etwas gönnen. Und wenn ich dann an diesem Tag mal nicht diese halbe Stunde draußen war, muss ich nicht in einen Teufelskreis der Selbstkritik verfallen. Sondern ich habe Mitgefühl und Verständnis mit mir selbst, schreibe mein Dankbarkeitstagebuch und freue mich über das, was heute schön war.“ 

Dankbarkeit ist ein wichtiger Schlüssel für ein zufriedenes Leben. Unsere Meditationsübung für mehr Dankbarkeit in 8 Minuten hilft dir dabei, dich auf die schönen Seiten des Lebens zu fokussieren.

Weitere Achtsamkeitsübungen und -trainings findest du hier.