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Frau liegt auf der Couch und hört mit Köpfhörern Musik

Warum ständige Erreichbarkeit Stress auslöst – und wie du damit umgehst

ArtikelLesezeit: 3:00 min.

Du bist die Schaltzentrale deiner Familie? Deine Freunde rufen dich gerne an, wenn sie Rat brauchen? Messenger stehen häufig nicht still bei dir, weil viele Menschen dich an ihrem Leben teilhaben lassen wollen? Und all das freut dich, aber löst auch viel Stress in dir aus? Psychologe René Träder gibt hilfreiche Tipps, wie du dich abgrenzen kannst.

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Der Experte zum Thema

René Träder

Psychologe, Coach, Speaker und Buchautor, Berlin
Foto: © Steffen Hemesath

Wo Leben ist, ist der Stress nicht weit?

Im Alltag treffen wir ständig auf Menschen, haben Termine und sammeln die unterschiedlichsten Eindrücke. All diese Reize wirken auf uns ein, kosten Energie und können unsere Gedanken durcheinanderbringen. Das kann schnell herausfordernd werden und Stress auslösen. Vor allem, wenn wir alles ungefiltert an uns heranlassen und sich Ärger anstaut.

„Es braucht ein gutes Gespür dafür, ob ich das alles annehmen muss oder ob ich auch etwas zurückweisen kann, um eben nicht tagtäglich überfordert zu werden“, sagt Psychologe René Träder. Er nennt das „achtsam ignorieren“ und ergänzt: „Für uns Menschen im 21. Jahrhundert, die wir mit enorm vielen Reizen, Nachrichten, Informationen, ToDos und Erwartungen konfrontiert sind, ist das eine Schlüsselkompetenz für ein gesundes und zufriedenes Leben.“

Es lohnt sich, in sich hineinzufühlen und zu fragen: Was genau steckt hinter dem Gefühl „Stress“? Ist es Erschöpfung, Hilflosigkeit oder Überforderung? Kommt der Druck von außen oder mache ich ihn mir selbst? „Der Begriff Stress hilft uns oftmals gar nicht weiter, weil er den Blick auf die Ursachen und Reaktionen darauf vernebelt. Besser ist es, sich zu fragen, wo in diesem Nebel der eigene Spielraum ist – und dann bewusst ins Handeln zu kommen“, so René Träder.

Konflikte zu vermeiden, kann Stress verursachen

Es ist gut, erst einmal für sich selbst herauszufinden, welcher Typ man im Umgang mit Stress ist. Versuchst du, dem Stress im Alltag durch Vermeidungsverhalten aus dem Weg zu gehen? Oder bist du eher der Typ, der auf Stress reagiert – also alles frontal auf dich zukommen lässt, bis das erträgliche Level überschritten ist?

„Stressvermeider arbeiten Dinge sorgsam ab, um z.B. möglichen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Diese für sie ganz normalen Verhaltensweisen bergen aber schon jede Menge Stresspotenzial, was ihnen erst einmal nicht auffällt, weil sie sich diesbezüglich nicht kritisch damit auseinandersetzen.“ Der Tipp des Experten lautet: Hinterfrage hin und wieder, ob das bisher gelernte Verhalten den Stress vielleicht magisch anzieht.

Wer auf Stress einfach nur reagiert, ist stark auf der Gefühlsebene unterwegs und versucht häufig, die dadurch ausgelöste Erschöpfung, Wut oder Traurigkeit zu kompensieren – durch eine individuelle Handlung, die für gute Gefühle sorgt. Aber dieses sogenannte emotionale Coping ist laut Träder eine Bewältigungsstrategie, die meist nur kurzfristig wirkt. Das eigentliche Problem löst es nicht. Stattdessen ist man ständig auf der Flucht, unterdrückt seine Gefühle und lächelt, obwohl es nichts zu lächeln gibt. „Wer das einmal für sich durchschaut hat und zu einer gewissen Selbsterkenntnis kommt, kann in Zukunft achtsamer mit sich umgehen und die Ressourcen, die bislang für das aktive Vermeiden von Konflikten draufgegangen sind, besser nutzen“, sagt René Träder.

Stress hat viele Gesichter

Laut dem Experten ist es wichtig zu verstehen, dass Stress die unterschiedlichsten Ursachen haben kann. Denn auch positive Dinge lösen manchmal Stress aus, zum Beispiel der Start in den lang ersehnten Urlaub. Die Verabredungen mit Freunden. Oder der Wunsch, andere Menschen glücklich zu machen: „Aktives Zuhören ist ein Geschenk an unsere Mitmenschen, aber es ist auch eine Anforderung, mitunter eine Überforderung“, sagt Träder. „An einem langen Tag können schon Kleinigkeiten wie ein kurzes Gespräch schwer ins Gewicht fallen, obwohl sie für sich genommen etwas Positives sind. Mein Merksatz in solchen Momenten ist: Erinnere dich daran, dass du immer genau das tust, was du selbst willst. Das hilft dabei, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und zu erkennen: Wenn ich etwas nicht will, dann sollte ich es nicht tun, auch wenn es in der Folge bedeutet, andere Menschen zu enttäuschen oder ihre Erwartungen nicht zu erfüllen. Und wenn ich es doch tue, um dadurch einen Konflikt zu vermeiden? Dann sollte ich mir darüber im Klaren sein, dass ich mich in diesem Moment aktiv genau für diese Mechanik entschieden habe.“

Ständige Erreichbarkeit ist eine aktive Entscheidung

Auch das Gefühl, für jeden und alles ständig erreichbar sein zu müssen, ist laut Träder ein Ergebnis einer individuellen Entscheidung: „Ich sage durch meine Verfügbarkeit „Ja“ zu etwas, was mich eigentlich stresst. Vielleicht, weil ich Angst habe, dass ein „Nein“ als Ablehnung empfunden wird.“ Solche Gefühle äußern sich häufig durch nicht enden wollende innere Dialoge, ein ständiges, aufreibendes Abwägen des Für und Wider. Das bewusst zu stoppen, eine Entscheidung zu treffen, für sich und sein Handeln Verantwortung zu übernehmen, hilft aus der eigenen Opferhaltung und dem Gefühl der Fremdsteuerung heraus. „Häufig wählen Menschen auch das vermeintlich kleinere Übel, um akut einer Situation zu entkommen. Es ist wichtig zu erkennen, dass man genau das stoppen kann. Denn: Es ist okay, du darfst auch mal „egoistisch“ sein. Das schenkt dir persönliche Freiheit.“

Glaubenssätze hinterfragen und umformulieren

Manchmal stecken laut Träder hinter der Versuchung der ständigen Erreichbarkeit auch Glaubenssätze wie „Ich bin nur etwas wert, wenn die anderen mich mögen (weil ich immer für sie da bin).“ Das Selbstwertgefühl nährt sich dann aus dem Immer-erreichbar-Sein. „Manche haben schon als Kind erfahren, nur etwas wert zu sein, wenn sie Leistung erbringen, brav sind und zu allem Ja sagen. Das sind dann Überlebensstrategien oder Strategien, überhaupt gesehen zu werden. Wir brauchen die anderen, damit sie unseren Wert widerspiegeln. Hier hilft es, diese Denk- und Verhaltensmuster zu überformen und neue Gewohnheiten zu etablieren: Das Smartphone wie beim Digital Detox regelmäßig außer Reichweite zu legen, achtsam wahrzunehmen, wenn die sozialen Batterien leer sind und aktiv Grenzen zu setzen“, so René Träder. Das führe in der Regel nicht zu Applaus bei den Mitmenschen, sei aber ein wichtiger Schritt, um Energie zu schöpfen. „Was brauche ich gerade? Wie geht es mir? Was denke ich – und was sind meine Regeln? Wann bin ich für wen wie erreichbar? Welche Probleme kann mein Umfeld auch ohne mich lösen? Das sind alles wichtige Aspekte eines achtsamen Lebens“, so René Träder.

Fazit: Ständige Erreichbarkeit ist kein Muss

Ständige Erreichbarkeit ist kein Automatismus, sondern oft das Ergebnis eigener Entscheidungen, Gewohnheiten und Glaubenssätze. In einer Welt voller Reize und Erwartungen ist Achtsamkeit ein kraftvolles Werkzeug, um den eigenen Handlungsspielraum wiederzuentdecken. Sie hilft dabei, Stress nicht nur als Druck von außen zu verstehen, sondern als (Warn-)Signal für eigene Bedürfnisse und Grenzen. Wer achtsam mit sich umgeht, erkennt drohende Erschöpfung früher und kann gezielt durch Selbstfürsorge gegensteuern. Das bedeutet im Alltag keinesfalls Rückzug, sondern eher bewusste Präsenz – um für sich und andere da zu sein, in einem gesunden Gleichgewicht.

Mentale Widerstandsfähigkeit ist erlernbar: Die sogenannte Resilienz gehört zu den Methoden der Persönlichkeitsentwicklung. Jeder Mensch kann seine Resilienz entlang der sieben Säulen der Resilienz stärken.

René Träder
Superkraft statt Superstress
Verlag Herder, Freiburg
Preis: 22,00 Euro